Freitag, 27. September 2013

Das kleine schwarze Pferd

Im Traum erlebe ich, dass ich am Morgen, als ich in die Küche komme, dort auf dem Küchenboden ein kleines schwarzes Pferd vorfinde. Ein kleines Pferd ist es, mit wunderschönem, glänzendem Fell. Aber etwas ist nicht in Ordnung mit ihm. Es liegt auf der Seite, ist an den Vorderläufen verletzt.

Oh, es ist tot, es liegt dort bewegungslos und atmet nicht mehr. Eine Frau ist die Besitzerin des schönen, kleinen Pferdes. Ich kontaktiere sie sofort. Sie scheint nicht besonders betroffen zu sein von der Nachricht und sagt mir, sie käme am nächsten Morgen gegen acht, um das tote Pferd abzuholen. Was mache ich denn jetzt mit ihm? Es kann doch nicht hier in meiner Küche…

Bei einem Blick nach draußen in den Garten sehe ich, dass der Zaun an einer Stelle niedergewalzt ist und weiß sofort, dass das Pferd das getan hat. Es hat mit Gewalt versucht, in meinen Vorgarten einzudringen, konnte den hohen Zaun nicht überspringen und hat ihn niedergetrampelt. Dabei hat es sich die Beine verletzt, hat sich trotzdem mit letzter Kraft durch den Garten und die offene Küchentür hier herein in meine Küche geschleppt. Ja, es wollte unbedingt zu mir, in meine Küche und hat sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt. Oooh! Nun ist es tot.

Aber nein, hat es nicht eben ein bisschen den Kopf bewegt? Und es atmet ja wieder! Das kleine, schöne Pferd lebt! Ich will mich darum kümmern, werde es gesund pflegen. Ich knie neben ihm nieder und streichle seinen Kopf. Dankbar sieht es mich an. Nein, die kaltherzige Frau bekommt dich nicht zurück. Ich werde mich von nun an um dich kümmern und dich liebevoll versorgen. Du wunderschönes, schwarzes, kleines Pferd, du wirst gesund werden und groß und stark.

Beim Aufwachen wird mir klar: Ich bin das Pferd, die kaltherzige Frau und auch ich selbst…

Teneriffa, 20.9.2013

Mittwoch, 18. September 2013

Die weinende Frau

Es ist irgendwann in der Nacht. Ich liege im Bett in der Wohnung, die sich in einer der Gassen im Städtchen auf Teneriffa befindet und schlafe. Langsam werde ich wach, denn ich höre das Weinen einer Frau. Es kommt immer näher. Die Frau läuft scheinbar unsere Straße entlang und nähert sich unserem Haus. Es ist ein hemmungsloses, verzweifeltes Weinen und Jammern und Wehklagen.

Genervt wache ich immer mehr auf und denke bei mir „Geh doch nach Hause, Frau.“ Sie stört mich mit ihrem Weinen mitten in der Nacht. Aber dann ändert sich etwas in mir. Mir kommt in den Sinn, dass dieser Frau irgendetwas für sie sehr Tragisches passiert sein muss. Vielleicht hat der Freund sie verlassen, hat er nur noch mit einer anderen getanzt auf dem Fest, von dem ich weiß, dass es heute Abend da unten auf dem Marktplatz stattgefunden hat. Vielleicht ist sie auch bestohlen worden oder jemand hat ihr irgendwie Gewalt angetan. Ich kenne das doch, Kummer, schmerzhafte Erfahrungen, Weltschmerz, der sich manchmal ganz ohne Grund einstellen kann.

Ich empfinde Mitgefühl mit dieser Frau, die sich mittlerweile offensichtlich vor unserem Haus niedergelassen hat, denn das Weinen und Wehklagen entfernt sich nicht, sondern bleibt konstant. Schließlich höre ich weitere Stimmen. Jemand ist bei ihr, spricht mit ihr, kümmert sich um sie, führt sie fort und das Weinen entfernt sich.

Mir wird bewusst, dass diese Frau mir einen Anteil von mir dargestellt hat, dass sie auch ein Teil von mir ist, diese weinende, klagende Frau, die enttäuscht ist, verletzt wurde, vielleicht irgendeine Erfahrung gemacht hat, deren Sinn sich nicht begreifen lässt. Ich hole diese Frau innerlich in mein Herz, nehme sie in den Arm, fühle mit ihr. So kann dieser alte Schmerz heilen. Durch ein Wegschicken ändert sich nichts, kann keine Heilung geschehen. Ich verstehe sie, weiß ja so gut weiß, wie sich das anfühlt.

Ich nehme dich in den Arm, weinende Frau, und auch mich selbst. Es ist gut jetzt. „Respira. Ya se pasa“, wie ich hier in Spanien hab sagen hören. „Atme. Es geht vorüber.“

Teneriffa, 17.9.2013