Sonntag, 4. Mai 2008

Das weibliche Prinzip

Geliebte Göttin, große Mutter,

+ wo ist der Anfang? Ich kann nicht wirklich verstehen, dass der Schöpfer, die Quelle, in sich ruhte, bis es ihm zu langweilig wurde und er deshalb aus einem Impuls heraus schöpferisch wurde, diese Allegorie, die uns so oder ähnlich gern erzählt wird.

* Das ist auch nicht genau so. Es gibt keinen Anfang. Die Quelle war und ist immer im Ruhezustand. Die Quelle ist das Leben selbst und war und ist auch immer in Bewegung. Gestern haben wir sie als „Ursuppe“ bezeichnet. Sie ist ein Ozean aller möglichen und unmöglichen Potentiale.

+ Ist es dann Zufall, dass etwas erschaffen wurde oder gibt es eine Intention, eine Absicht dahinter?

* Es gibt Zufall und es gibt Intention. Die Wirklichkeit ist nicht das „entweder/oder“, das der Mensch kennt. Und da der Mensch als Geschöpf und Abbild des Schöpfers selbst die Gabe erhalten hat, schöpferisch zu sein, erschafft sich die Schöpfung ständig weiter und neu. Es ist wie ein gigantisches Spiel, oder ein Traum. Die Dimension oder Form, die jetzt hier spricht, hat sich aus der Einheit heraus weit ausgedehnt, denn sonst spräche ich jetzt nicht

+ Wie kannst du mit dem Leben spielen, mit dem Großartigsten, was ist?

* Leben ist Spiel, ist Bewegung, Entwicklung, Veränderung. Das Großartigste, was ist, kannst du nicht einrahmen und ins Museum hängen, damit es besser zu betrachten ist. Du kannst es nicht fixieren oder festhalten, nicht einmal wirklich definieren, denn es ändert sich von Moment zu Moment und ist die unendliche Vielfalt. Das ist sein Wesen, die Bewegung.

+ Warum heißt es immer, dass die Frau, die Mater, das Feste, Unbewegliche, Dunkle ist? Das finde ich nicht logisch, weil sie doch Leben schenkt, aber alle Religionen und Philosophien, die ich kenne, sagen das.

* Hm, bist du bereit, die Antwort zu hören? Die Schöpferin, die Quelle, ich, die große Mutter oder die Ursuppe, habe die Unterscheidung zwischen Männlich und Weiblich geschaffen. Ich bin die Vielheit, weiblich und männlich und neutral und nicht-neutral und androgyn, bin das alles und bin es nicht. Mein männliches Prinzip ist Stabilität, Festigkeit, Ordnung, Ich habe diese Prinzipien aus meiner Weiblichkeit heraus erschaffen und in der Welt und in jedem Menschen wirken sowohl das schöpferisch weibliche, chaotische als auch das stabilisiernde, unterstützende männliche Prinzip. Und so ist alles perfekt.

Samstag, 3. Mai 2008

Vollkommenheit

Geliebte Göttin, große Mutter,

+ ich möchte dich zum Ausdruck bringen!

* Aber das tust du ja. All die Zweifel, das Hin- und Her-Bewegen, die Unentschlossenheit, der Zorn, die Ungeduld, die Gebundenheit, genauso wie die Freude, die Liebe, die Großzügigkeit, die Freiheit, all das bin ich.

Werte nicht mehr. Du versuchst, perfekt zu werden, willst makellos sein, vollkommen wie die Göttin. Und ja, ich bin vollkommen, denn ich bin alles. Ich bin auch das, was du nicht magst, das Hässliche, der Schmerz, die Angst. Ich bin all das in Vollendung.

Höre auf, nach Vollendung zu streben. Liebe mich, nimm mich an in meiner Vollkommenheit, in allem, was ich bin, nicht nur in Auszügen. Du suchst dir nur ein paar Häppchen heraus, ein paar Aspekte, die dir gefallen, die du verehren und sein willst, doch die Vollkommenheit ist die Vielheit.

+ Aber ich kann doch nicht das Schlechte, das Hässliche, das Böse gut heißen.

* Keineswegs schlage ich das vor. Es gibt immer den Ausgleich. Es gibt nicht das eine ohne das andere in der Welt. Es gibt immer die Entsprechung des anderen Pols. Auch dies spiegelt meine Vollkommenheit wider.

+ Das kann ich nicht, Verbrechen, Missbrauch tolerieren. Warum lässt du dich in uns missbrauchen, misshandeln? Warum gibst du dich her für solche Dinge?

* Ich bin, ebenso wie ich die Liebe, das Licht bin, auch die Angst, das Dunkel. Menschen in weiblichen Körpern haben gemetzelt, erniedrigt, und Menschen in männlichen Körpern haben das getan. Wenngleich sich seit langer Zeit hier die Männer hervortun - sieh hin, schau die grausamen Mütter an, die ihre Kinder missachten, sie verhungern lassen, sie treten und schlagen, sie vernachlässigen.

+ Ich sag ja nicht, dass die Männer die Bösen sind. Aber wie kannst du, die Schöpferin des Lebens, böse und schlecht sein? Ich möchte das Kind einer Göttin sein, die Licht und Liebe ist.

* Es ist gleichwertig, böse und gut, auch wenn das schwer zu begreifen ist und eurer Ethik zunächst zu widersprechen scheint. Sichtbar ist „gut“ und „böse“ nur in einer polaren Welt, und diese Welt kann nur dadurch existieren, dass sie beide Pole ist, sonst wäre keine Unterscheidung möglich. Dieser Weg der Erkenntnis von „gut“ und „böse“ ist der Weg in die Liebe, in die Wahrheit, in die Einheit. Erkenntnis bedarf der Unterscheidung. Deshalb ist es wichtig, dass ihr erkennt, dass es „böse“ gibt und „gut“, und was sie ausmacht, was sie unterscheidet.

Ich bin Licht und Liebe und ebenso bin ich auch Dunkel und Angst. Ich bin alles. Ich bin vollkommen. Ein Pol kann nicht sein ohne den anderen, verstehst du? Ich bin die Ursuppe, der Ozean des Lebens, aus dem das Potential zu allem und jedem geboren wird.

Betrachte dich selbst. Betrachte deine Fehler, deine negativen Eigenschaften, deine Hässlichkeit. Sieh genau hin, denn all das ist wundervoll. All das ist individueller Ausdruck einer gewaltigen Einheit, denn zu allem ist auch der Gegenpol vorhanden, wenn auch vielleicht nicht sichtbar. Und auch zum Schönen, Guten gibt es die "Kehrseite der Medaille", wie ihr sagt.

+ Ich habe so lange daran gearbeitet, ein richtig guter Mensch zu werden, besser als ich es war. Als Kind hab ich zuerst gedacht, ich wäre das Zentrum der Welt, das Wichtigste überhaupt. Dann hat die Welt mich gelehrt, dass ich viele Fehler habe und viele Fehler mache. Also habe ich versucht, diese Fehler zu überwinden und besser zu werden. Und nun soll das alles egal und umsonst sein?

* Das war wichtig, denn es hat dich bewusst gemacht. Du hast unterscheiden gelernt und jetzt kannst du alles wieder zusammenführen, und das mit einem ganz neuen, umfassenderen Bewusstsein. Du kannst jetzt in jedem Moment – oder in fast jedem Moment – entscheiden, wie du sein willst. Du bist bewusst und das ist es, worum es ging. Dabei hat sich ergeben, dass du dich dafür entscheidest, gut zu sein und es ist deine Wahl. Es st die Wahl des Lebens selbst, die Wahl der Liebe.

Du spürst, dass du überhaupt nicht getrennt von mir warst, dass ich in Wirklichkeit für dich nicht „du“ bin, sondern „ich“, doch das war lange Zeit nicht vorstellbar für dich. Nun bist du in gewisser Weise müde geworden, hast genug davon, Widerstand zu leisten, dich künstlich auf Abstand zu halten. Du bist jetzt bereit, die Weiblichkeit, die Göttin zu leben.

+ Das ist wahr. Ich möchte die Freude, die Liebe, die Schönheit und all das, was ich mag, einladen. Ich möchte meine Weichheit genießen und fließen lassen, nicht immer stark sein müssen, alles erkämpfen und erstreiten müssen.

* Das hat sowieso nicht funktioniert.

+ Nein, meistens nicht. Meist hat es mehr Kraft gekostet, als es gebracht hat.

* Das heißt nicht, zu erdulden, zu schweigen. Es heißt sehr wohl, dem Leben zu dienen.